Die Italienisierung von Einheimischen: Bildungs- und Schulsystem unter italienischer Kolonialherrschaft in Eritrea (Teil 2)

Veröffentlicht am 18. Februar 2024 um 02:17

Dr. Mussie Habte

Koloniale Bildungspolitik und ihre Ziele

Die Ziele und Zwecke des kolonialen Erziehungs- und Bildungssystems blieben in der italienischen Kolonialpolitik weiterhin ein kontroverses Thema. Besonders bei der Frage, welche Art Schüler durch die Kolonialbildung geformt werden sollte, gab ein Anlass zu heftigen Auseinandersetzungen. Professor Caracciolo Mininni, ein Experte auf dem Gebiet der Kolonialbildung, der einen direkten Zusammenhang zwischen Bildung und kolonialer Herr­schaft sah, schreibt hierzu:

„We have to recognize from the outset that the teaching of natives along the same lines as in Europe has produced most sad and dangerous results for the natives as well as for the colonizers. It is therefore necessary that the native education be adapted as much as possible to the conditions and needs of the native and to the character and specific exigencies of colonialism“.[1]

Weiter führte er aus, dass die Bildung der einheimischen Bevölkerung eine moralische Verpflichtung der Kolonialherren sei und dass darüber hinaus Bildung ein nützliches Instrument bei der friedlichen Penetration sowie moralischen Eroberung der kolonialisierten Bevölkerung sein könne. Im gleichen Atemzug wies er jedoch auch daraufhin, dass die Bildung der Einheimischen Hand in Hand mit den politischen, wirtschaftlichen, administrativen und militärischen Interessen der Kolonialmacht gehen müsse.

Caracciolo wies auch auf die Gefahr hin, die aus der Einführung eines allgemeinen Bildungssystems hervorgehen könnte. Seine Hauptkritik bezog sich vor allem auf den Entfremdungsprozess, der mit der Kolonialschule in Verbindung gebracht wurde. Auch er vertrat die Auffassung, dass die Kolonialschule durch ihre Bildungsintervention dazu tendiere, die Schüler aus ihrer gewohnten und natürlichen Umwelt herauszureißen. Bereits in einer früheren Diskussion hatte Außenminister Di San Guliano auf diesen Zusammenhang hingewiesen und mit Nachdruck dazu ermahnt, westliche Denkweise und Lebensanschauung aus dem Bildungsprogramm für Einheimische fernzuhalten, da sie nicht mit der traditionellen Mentalität der Einheimischen zu vereinbaren seien. Aus diesem Grund verlangte er, dass

„the character of the education given to the native hast to be carefully considered not to cause any politically nor moral inconvenience. The native, Eritrean and Somalian, still holds an almost infantile mentality which makes it necessary to know to adjust the intellectual nourishment in a way that will not cause them any mental or moral imbalance.“[2]

Um dieser Gefahr vorzubeugen, forderte Caracciolo daher, die Bildung auf die konkreten und partikularen sozialen und ökonomischen Milieus der einheimischen Bevölkerung auszurichten. Vor allem sollte jedoch die Bildung rein praktischer Natur sein.[3] Auf diesem Weg würde die Schule dazu beitragen, das Leben der Einheimischen zu verbessern, indem sie ihnen erlaube, vom Fortschritt – damit meinte er natürlich den Fortschritt, den die Italiener im Rahmen ihrer Zivilisierungsmission einleiteten – zu profitieren, ohne sich dabei einem kulturellen Entfrem­dungsprozess aussetzen zu müssen. In seinen Ausführungen ging Caracciolo auch auf die zwei zentralen Kritikpunkte ein, die im Hinblick auf negative Implikationen der Kolonial­bildung geäußert wurden. Zum einen wurde von den Antagonisten der Kolonialbildung immer wieder die Behauptung aufgestellt, dass gebildete Einheimische im Gegensatz zu Ungebildeten sehr schwer zu beherrschen und zu kolonialisieren seien. Zum anderen wurde stets moniert, dass Kolonialbildung das Ende der europäischen Vorherrschaft einleiten könne. Caracciolo wies beide Behauptungen zurück und argumentierte, dass dies dadurch verhindert werden könne, dass der Kolonialstaat die Kolonialbildung strikter kontrolliere und zugleich sicherstelle, dass die Schule nicht zu einer treibenden Kraft bei der Aushöhlung und Demontage der Kolonialherrschaft werde.

Die Machtergreifung und Etablierung des Faschismus in Italien in den 1920er-Jahren hatte auf die Kolonialpolitik in Eritrea große Auswirkungen. Denn das faschistische Regime begann auch in der Kolonie, seine faschistische Ideologie im Allgemeinen und Rassenideen im Besonderen samt der damit implizierten rassischen Segregation[4] rigoros durchzusetzen. Das koloniale Erziehungs- und Bildungssystem für Eritreer wurde ebenfalls entsprechend der faschistischen Doktrin verschiedenen Restriktionen ausgesetzt. Im November 1932 errichtete die italienische Regierung in der Kolonie ein Zentralbüro für Grundschulwesen, das federführend die Aufsicht über die Kolonialbildung übernahm.[5] Alle Schulen, die in der Kolonie existierten, d.h. sowohl die Regierungsschulen als auch die Missions- und Privatschulen, wurden diesem Büro unterstellt.[6] Andrea Festa, der über langjährige bildungspolitische Erfahrungen in Libyen[7] verfügte, wurde zum Leiter dieses Zentralbüros ernannt. Sein Auftrag bestand darin, sicherzustellen, dass Bildung in der Kolonie entsprechend der faschistischen Ideologie bzw. deren Prinzipien umgesetzt wurde. In einer Mitteilung, die an Schulleiter gerichtet war, beschrieb Festa die Ziele der faschistischen Schulbildung folgendermaßen. Nach vier Jahren Schule sollte der eritreische Schüler in der Lage sein sich mäßig in unserer Sprache zu artikulieren; er sollte die vier Grundrechnungsarten beherrschen; er sollte zudem ein überzeugter Verfechter der Grundregeln der Hygiene sein; und in Geschichte sollte er nur die Namen derjenigen kennen, die Italien groß gemacht haben.[8] Weiter führte er aus:

„The Eritrean child ought to know something of our civilization in order to make him a conscious propagandist among the families who live far away inland. And through our educational policy, the natives should know of Italy, her glories and her ancient history in order to become a conscious militant behind the shadow of our flag.”[9]

In den Worten von Festa sollten die eritreischen Schüler, die durch das koloniale Schulsystem gingen, zu “conscious militia men“ bzw. zu „future soldiers for Italy“[10] herangezogen werden. In seiner Analyse des italienischen Kolonialbildungssystems in Eritrea bestätigte De Medici die militärische Orientierung der Erziehung. Auch er konstatierte, dass das Bildungssystem vornehmlich militärische Zielsetzungen verfolgte und Eritreer mit Hilfe der Kolonialschule zu „worthy elements of native troops, interpreters, clercs, telegraph operators, typists, because by aptitude and tradition they take to arms“ abgerichtet wurden.[11] Diese „zukünftigen Soldaten Italiens“ sollten nach den Vorstellungen von Festa mit sehr begrenztem Wissen ausgestattet sein. Der Schwerpunkt der Erziehung sollte daher vielmehr darauf ausgerichtet sein, den Kindern Gehorsam, Loyalität, Abhängigkeit und Respekt gegenüber der italienischen Zivilisation und dem italienischen Staat einzuimpfen.[12] Im Rahmen dieses Konzepts sollte die wichtigste Funktion des kolonialen Bildungswesens darin bestehen, durch Indoktrination einheimisches Hilfspersonal zu rekrutieren und auszubilden, das für die Zwecke der kolonialen Penetration dienlich sein könnte. Nach Festa sollte das Bildungssystem der italienischen Kolonialverwaltung ermöglichen,

„geeignete Elemente zu haben, die ausgebildet, geeignet sind, aus ihnen Kollaborateure in allen Bereichen für die sukzessive und vollständige Verwirklichung unseres Hilfspro­gramms zu machen.“[13]  

Um es nochmals auf einen Punkt zu bringen: Festa hielt Bildung für ein geeignetes und legitimes Instrument, um loyale und unterwürfige Untertanen für die Kolonialmacht zu schaffen.

Postkarte der königlichen Carabinieri aus der eritreischen Kolonie Asmara (1907) (i) 

Tabelle 2 - Bildungseinrichtungen für Eritreer im Jahr 1934

Name der Schule Art der Schule   Anzahl der Schüler                           
„Ferdinando Martini“ (Massawa)   Grundschule (Regierung)               118
„Salvagio Raggi“ (Keren)   Handwerksschule (Regierung)                 232  
„San Giogrgio“ (Adi Ugri)   Landwirtschaftsschule (Regierung               242
„San Michelle“ (Saganeiti)   Grundschule (Regierung)               255  
„Vitorio Emanuelle III (Asmara)   Grund- und Mittelschule (Regierung)               1038  
Scuola di Agordat   Handwerksschule (Regierung)               48  
„Guiseppe Sapeto“ (Assab)   Grundschule (Regierung)               59  
Kindergarten Asmara   Katholische Mission               16  
„San Guiseeppe“ (Asmara)   Katholische Mission               47
Scuola Interna Keren   Katholische Mission               62  
Seminar Keren Katholische Mission               60  
Scuola Indigene Adi Ugri   Katholische Mission               58
Scuola Privata   Katholische Mission               29
Scuola Parrochiale Asmara   Katholische Mission               182
Gesamt                 2446

Die Salvago-Raggi-Schule in Keren (ii)

Koloniale Schulbücher

Die Schulbücher und Lehrmaterialien, die für den Unterricht eingesetzt wurden, spiegelten die Ziele des Kolonialstaates wider. Zwischen 1912 und 1930 wurden von der katholischen Mission insgesamt acht Schulbücher herausgegeben, die in den Regierungsschulen zum Einsatz kamen. Das erste Lehrbuch, das 1912 veröffentlicht wurde, gliederte sich in einen italienischen und einen tigrinnischen Teil und beinhaltete sechs Kapitel sowie fünf Anhänge. Das erste Kapitel beschäftigte sich mit der Geschichte und Entwicklung der menschlichen Zivilisation. Im Vordergrund standen hier insbesondere die industrielle Revolution und die verschiedenen industriellen Erfindungen. Das nächste Kapitel, das sich mit Geografie befasste, beinhaltete elementares Wissen über das Universum und Planetensystem sowie verschiedene Aspekte unseres Planeten Erde und seiner Bewohner, die nach „Rassen“ gegliedert wurden. Europa wurde in diesem Abschnitt als ein Kontinent beschrieben, der weder mit Reichtum noch mit einer schönen und üppigen Landschaft gesegnet sei. Der technische Fortschritt und Wohlstand Europas wurde vielmehr mit der Courage und der Intelligenz seiner Bewohner erklärt. Im Mittelpunkt des vierten Kapitels stand die Hygiene und wie der menschliche Körper sauber und gesund gehalten werden kann. Hier wurden auch einige Kenntnisse über die Landwirtschaft in Italien vermittelt, die jedoch überhaupt keine Relevanz für Eritrea hatten. Das fünfte Kapitel beinhaltete einige rudimentäre Kenntnisse über natürliche und physikalische Phänomene. Im sechsten und letzten Kapitel standen schließlich moralische Pflichten gegenüber Gott, den Mitmenschen sowie Italien im Vordergrund. In den fünf Anhängen wurden verschiedene Informationen und Listen über berühmte Reisende und Forscher, Kunst, Regeln für anständiges Benehmen, Sprichworte und Zitate von bekannten Persönlichkeiten etc. zusammengestellt. Dieses erste Lehrbuch war sehr umfangreich und wenig hilfreich für die Schüler, die gewillt waren, die italienische Sprache zu lernen.[14]

Das zweite Lehrbuch hatte einen eher technischen Charakter und enthielt praktische Materialien zu den Unterrichtsfächern Industrie, Gewerbe und Handwerk. Das dritte Lehrbuch, das von der katholischen Mission veröffentlicht wurde, war ein Elementarbuch, das sich in folgende Kapitel gliederte: 1) Geschichten, Anekdoten; 2) Geografie u.a. Italien und Eritrea; 3) Rechte und Pflichten; 4) Hygiene; 5) Fabeln; 6) die Fähigkeit, Briefe zu schreiben nach vorgegebenem Muster; und schließlich 7) Poesie. Das Unterrichtsmaterial war in einer einfachen Sprache geschrieben und die tigrinnische Version war eine direkte Übersetzung des Italienischen.

Das vierte Schulbuch dagegen war ein Geschichtsbuch und trug den Titel „La colonia Eritrea“ („Die Kolonie Eritrea“). Das Buch war in neun Kapitel aufgeteilt. Das erste Kapitel bot einen Überblick über die geographischen Aspekte Eritreas und seiner Nachbarstaaten. Im zweiten Kapitel wurden das politische System der Kolonie und die Kolonialregierung beschrieben. Hier fand sich auch eine kurze Biografie des aktuellen Gouverneurs und eine Liste aller italienischen Gouverneure, die Eritrea bisher regiert hatten. Die Beschreibung des kolonialen Rechtssystems stand im Mittelpunkt des dritten Kapitels. Das vierte Kapitel befasste sich mit dem Handels- und Gewerbesystem, während sich Kapitel fünf mit der Industrie und das sechste Kapitel mit den landwirtschaftlichen Aktivitäten in der Kolonie auseinandersetzten. Das Bildungs- und Erziehungssystem wurde in Kapitel acht behandelt, wobei das Hauptaugenmerk auf das Bildungssystem für Italiener gerichtet war. Das neunte und letzte Kapitel bezog sich auf die verschiedenen Religionen, die in der Kolonie praktiziert wurden. 

Das fünfte Buch war ein Lesebuch über berühmte Menschen aus verschiedenen Bereichen wie zum Beispiel Wissenschaft, Forschung und Militär. Dieses Schulbuch, das im gleichen Stil wie seine Vorläufer geschrieben war, setzte sich aus zwölf Kapiteln zusammen, die nach folgenden Themenschwerpunkten aufgeteilt waren: 1) Ingenieure und Architekten; 2) Forscher; 3) Maler, Bildhauer und Musiker; 4) Industrielle und Händler; 5) Gelehrte und Dichter; 6) Richter und Juristen; 7) Seeleute und Forschungsreisende; 8) Herrscher und Päpste; 9) Generäle; 10) Politiker; 11) Philanthropen und 12) Missionare. Alle Menschen – insgesamt waren es über sechzig Personen –, die in diesem Lehrbuch vorgestellt und diskutiert wurden, waren Italiener. Die Italienzentriertheit sollte den eritreischen Kindern den Eindruck vermitteln, die Welt des Wissens werde von Italienern dominiert.[15]

Das letzte Schulbuch, mit dem Titel „Embae… oder die Früchte der Arbeit“, wurde 1920 veröffentlicht und war ebenfalls ein Lesebuch. Im Zentrum des Buches stand die Geschichte eines jungen Eritreer, mit Namen Embae, und seinen Erfahrungen mit seinem italienischen Arbeitgeber. Embae, der einer armen Bauernfamilie entstammte, hatte die Möglichkeit, eine katholische Missionsschule zu besuchen. Nachdem er zwei Jahre lang die Schule besucht hatte, zog er in die Hauptstadt und fand mit Hilfe der katholischen Mission einen Job in einem italienischen Warenhaus. Der Arbeitgeber machte Embae nach einer Weile das Angebot, ihn nach Italien zu begleiten. Darüber hinaus gab er ihm das Versprechen, ihn beim Aufbau eines eigenen Geschäftes zu unterstützen. Als Adoptivsohn des Arbeitgebers gelang Embae allmählich der Aufstieg von einem einfachen Arbeiter zunächst zum Manager, dann zum Teilhaber und anschließend zum Erben des gesamten Vermögens seines ehemaligen Arbeitgebers. In Italien lernte Embae darüber hinaus viele Persönlichkeiten aus der Wissenschaft kennen und begann davon zu träumen, eines Tages ein Buch zu schreiben, das seinen Landsleuten als Handbuch beim gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Aufstieg helfen sollte. Die Moral dieser fiktiven und subtilen Erfolgsgeschichte bestand darin, den eritreischen Schülern zu zeigen, dass sozialer und ökonomischer Aufstieg nur durch hartes Arbeiten realisiert werden könne. Zudem wurde den einheimischen Schülern exemplarisch gezeigt, dass alles möglich sei, solange sie sich an die von der katholischen Mission und der Kolonialverwaltung aufgestellten Regeln hielten.[16]  

Die katholische Mission veröffentlichte zwischen 1923 und 1930 zwei weitere Lehrbücher. Im Gegensatz zu den früheren Schulbüchern wurden diese ausschließlich in italienischer Sprache verfasst; d.h. eine parallele Übersetzung in die Lokalsprache fehlte hier gänzlich. Das 1923 verfasste Buch setzte sich aus Grammatik, Arithmetik sowie ausgewähltem Lesematerial zusammen und kam in der zweiten, dritten und vierten Klasse zur Anwendung. Die Inhalte der Grammatik und Arithmetik basierten größtenteils auf dem italienischen Curriculum.[17] Es wurden jedoch geringfügige Veränderungen vorgenommen, um eine Übereinstimmung mit den bildungspolitischen Zielen des Kolonialstaates herzustellen. Außerdem wurden die meisten Beispiele und Erläuterungen der eritreischen Realität entnommen. Ziemlich unverhüllt war es Zweck dieses Lehrbuchs, den eritreischen Schülern Unterwürfigkeit und Respekt für Italien einzuimpfen.

Das 1930 publizierte zweite Schulbuch war ebenfalls ein Lesebuch. Es enthielt ebenfalls einige Passagen über Grammatik und Arithmetik. In diesem Buch fanden sich auch tigrinnische Wörter und Sprichwörter. Auffällig war darüber hinaus, dass auf jede Rubrik eine kleine Geschichte oder eine Anekdote folgte, die der eritreischen Erfahrungswelt entnommen war.[18] 

Die Analyse der Schulbücher und Unterrichtsmaterialien zeigt, dass diese für den Kolonialstaat wichtige Instrumente waren, um die junge Generation seiner Untertanen im Sinne der kolonialen Ideologie bzw. Doktrin zu erziehen und zu beeinflussen. Mit Hilfe der Schulbücher versuchte das Kolonialregime, bestimmte Eigenschaften, Verhaltensnormen und Wahr-nehmungen unter den Schülern zu verbreiten. Die jungen Eritreer sollten so zu gehorsamen, unterwürfigen und willfährigen Untertanen erzogen werden, die sich ohne Widerspruch ihrem Schicksal beugten. Durch die Schulbücher wurden aber auch bestimmte Bilder und Wahrnehmungen über Italien und Eritrea vermittelt. Dabei verlief die ideologische Indoktrination nach dem bekannten Muster, dass die europäischen Leistungen und Errungenschaften – die Kultur des weißen Mannes – derjenigen der Afrikaner hoch überlegen sei. Italien wurde in den Schulbüchern als das mächtigste und glorreichste Land der Welt präsentiert.

„There was a period when Italy ruled the world. It was Italy which brought education, the good and saintly manners of life to all other parts of the world. (…) Italy has sent to this colony some of her sons to make it fertile, to educate the children of the colonized, to defend the colony from raids and to make it more developed and appreciated.”[19]

Zugleich wurden die Schüler darauf eingestimmt, dass Italien ihr Vaterland sei und dass sie es deshalb lieben sollten:

„ O; children of Eritrea, love the three colours of the Italian Flag, because it is your flag, salute it, raise your right hand to it and promise it with faithfulness and honour. Love … your teachers who teach you to love Italy, the common mother, be always obedient children. When you enter class in the morning, child, salute your king. He is the supreme head of the nation, the first citizen of Italy”.[20]

Im Umkehrschluss wurde Eritrea als geschichtsloses Land dargestellt, das erst durch das selbstlose Engagement Italiens mit der Zivilisation in Kontakt gekommen sei.

„From that day when Italy put Eritrea under its protection, Eritrea became a land of work, rich in commodities, free of any hostile invasion, secure within its borders, open for trade and commerce, and respected among all African territories. You should greet Italy as your dear and benevolent Madre-Patria”[21]

Auffällig ist auch, dass der italienische Kolonialismus in den Schulbüchern oft als eine Bürde für den Kolonisator porträtiert wurde. Dabei wurde wiederholt argumentiert, dass Italien nur deshalb Kolonien unterhalte, weil es sich selbstlos dazu verschrieben habe, die Zivilisation in diesen Gebieten zu verbreiten und durchzusetzen. Interessant in diesem Zusammenhang ist auch die allgemeine Definition einer Kolonie. In dem Schulbuch von 1930 definiert der Verfasser eine Kolonie als ein Land, das von einer zivilisierten Nation mit dem Ziel der Zivilisierung und Erziehung der Bevölkerung okkupiert wurde.  

Das koloniale Bildungsangebot, das die europäischen Kolonialmächte in ihren Kolonien implementierten, zielte in erster Linie auf die kulturelle Assimilation der heranwachsenden Generation. Wie es der ehemalige tansanische Präsident Julius Nyerere betonte, spiegelten die Inhalte und Zielsetzungen dieses Bildungswesens ausschließlich die Kultur und Wertvorstellungen der jeweiligen Kolonialmacht. Der Kolonialverwaltung ging es bei der Erziehung der einheimischen Kinder ausschließlich um die Durchsetzung der eigenen kolonialen Interessen. Ziel war es, den einheimischen Kindern die Werte der Kolonialmacht einzuimpfen und sie für den Dienst im Kolonialstaat auszubilden.[22]

In der Kolonialschule sollte insbesondere eine Elite herangebildet werden, die der kolonialen Verwaltung behilflich sein konnte, das Land zu regieren, und so legte man großen Wert darauf, die Kolonisierten zu loyalen Untertanen zu erziehen, die den Herrschaftsanspruch der Kolonialmacht nicht in Frage stellten. Auch die italienische Bildungspraxis orientierte sich an diesen Maßgaben und wurde in vielerlei Hinsicht von diesen Ideen getragen. Denn das italienische koloniale Bildungs- und Erziehungswesen wurde ausschließlich von den imperialen Zielen und Motiven Italiens geleitet und berücksichtigte in keiner Weise die Bedürfnisse und Interessen der eritreischen Bevölkerung. Nach De Marco bestand das offiziell erklärte Ziel der italienischen Kolonialbildung darin, die „Assimiliation“ und „Italienisierung“ der ein-heimischen Bevölkerung durchzusetzen:

„(Education) was used by the Italians to bring about a change in the native mental outlook; it implied a desire to impress the native with the greatness of Italian civilization; it sought to gain his respect for Italy’s colonizing ability; and it attempted to convince him of the singular privilege of being under the domination of modern Rome. In carrying out this policy of Italianization the native, the government colonial school for indigenous people played a very important role.”[23]

Demzufolge stellte Bildung für die italienische Administration ein Instrument zur Durchsetzung seiner kolonialen Interessen dar und war darauf ausgerichtet, eine kleine, hörige eritreische Elite auszubilden, die in subalternen kolonialen Verwaltungsfunktionen eingesetzt werden konnte und vor allem zweierlei Zielen dienen sollte: Zum einen sollte mit Hilfe dieser handverlesenen Bildungselite die italienische Hegemonie konsolidiert und stabilisiert werden und zum anderen sollte diese als Bindeglied zwischen der Kolonialverwaltung und der eritreischen Bevölkerung fungieren. 

Zusammenfassung und Schlussfolgerung

Das koloniale Bildungsangebot, das Italien in Eritrea einführte, zielte in erster Linie auf die kulturelle Assimilation der heranwachsenden Generation. Die Inhalte und Zielsetzungen dieses Bildungswesens spiegelten ausschließlich die Kultur und Wertvorstellungen der Kolonialmacht. In der Kolonialschule wurde eine Elite herangebildet, die der kolonialen Verwaltung behilflich sein konnte, das Land zu regieren, und so legte man großen Wert darauf, die Kolonisierten zu loyalen Untertanen zu erziehen, die den Herrschaftsanspruch der Kolonialmacht nicht in Frage stellten. Das italienische koloniale Bildungs- und Erziehungswesen wurde ausschließlich von den imperialen Zielen und Motiven Italiens geleitet und berücksichtigte in keiner Weise die Bedürfnisse und Interessen der eritreischen Bevölkerung. Nach De Marco bestand das offiziell erklärte Ziel der italienischen Kolonialbildung darin, die „Assimilation“ und „Italienisierung“ der einheimischen Bevölkerung durchzusetzen. Zusammenfassend kann konstatiert werden, dass die italienischen Kolonialherren keine Grundlagenerziehung beabsichtigten, die auf die Bedürfnisse der Kolonisierten Rücksicht nahm. Im Gegenteil, die Kolonialbildung war nach europäischer Provenienz aufgebaut und allein an den Interessen und der Lebensweise der Kolonialherren ausgerichtet. Sie war zudem höchst rassistisch und menschenverachtend, weil sie die Eritreer nicht als gleichwertige Menschen betrachtete. Für die Protagonisten der Kolonialbildung waren Eritreer Untertanen, die es zu beherrschen galt. Aus diesem Grund wurde keine Rücksicht auf die Normen und Werte der eritreischen Gesellschaft genommen, die man ohnehin als minderwertig betrachtete. Maßgeblich war für sie allein die Konsolidierung der Kolonialherrschaft und die ökonomische Ausbeutung der Kolonie.

„ Such a state of affairs was not to improve even with the advent of Italian colonialism and its false „civilising mission“. Indeed the Italians kept feudal education at the level they found it and even added their own brand of falsehoods aimed at weakening the people’s will to resist. Maximum effort made to impress upon the people the false claim that European cultural achievements were the result of the supremacy of the white man. In the Italian general scheme of things, the Eritrean was presented as a lowly creature whose purpose of existence was the satisfaction of the colonial master’s need. The extremely few schools that the Italians built in the towns (1) were meant to reinforce this colonial strategy. Only a handful of Eritrean boys, who were mostly the children of feudal chiefs and collaborators of the colonial regime, were allowed to attend these token colonial schools. …

By law, the highest level that an Eritrean could reach was the fourth grade. (2) Most of the products of such a restrictive system could, as indeed they were originally intended, only become nothing more than translators, factory clerks and “good boys” who obediently served their masters”.[24]

Fußnoten: 

[1] Mininni M. Caracciolo: “L’scuola nelle colonie italiane di diretto domino”, Rivista di Pedagogica, 23:3 – 5 (1930), S. 186.

[2] Alrchivio Storico del Ministero dell’Africa Italiana (ASMAI) Africa III Scuola p.2 fasc.6: Ist. Session July 5. 1910 of the Camera dei Deputati.

[3] Vgl. Caracciolo, M.M.: “L’scuola nelle colonie italiane di diretto domino”, Rivista di Pedagogica, 23:3 – 5 (1930), S. 187. In: Negash, T.: Italian Colonialism in Eritrea, 1882 – 1941. Policies, Praxis and Impact. Uppsala 1987, S. 70.

[4] Mitte der 1930er-Jahren wurden mehrere Gesetze erlassen, die die Segregationspolitik manifestieren sollten. Zu den Gesetzen zählte unter anderem ein Dekret über die Segregation im Wohnbereich, das Eritreern den Eintritt in für Weiße bestimmte Wohnviertel verbot. Nach diesem Gesetz durften beispielsweise Eritreer die Combistato, die das Herz der eritreischen Hauptstadt stellte, nicht betreten. Ein weiteres Gesetz regelte eine analoge Anordnung für das Transportwesen.  Demnach gab es in der Kolonie separate Transportmöglichkeiten für Weiße und Schwarze. Darüber hinaus wurden Ehen und eheähnlichen Verbindungen zwischen Italienern und Eritreerinnen zu einer Straftat erklärt. Die strikte rassistische Segregationspolitik, die von den Italienern in Eritrea implementiert und verfolgt wurde, nahm viele Momente der späteren südafrikanischen Apartheid-Politik vorweg.

[5] Im selben Jahr verfügte die Kolonialverwaltung die Ausweisung der schwedischen Mission. Die katholische Mission durfte zwar weiterhin ihre Bildungsarbeit fortsetzen, jedoch musste sie sich einer verstärkten Aufsicht unterwerfen. So musste sie sich unter anderem verpflichten, dem Curriculum der staatlichen Grundschulen für Eritreer zu folgen. 

[6] Im selben Jahr wurde die Schwedische Evangelische Mission, die über Jahrzehnte Bildungsarbeit leistete, des Landes verwiesen und alle ihre Missionsschulen geschlossen. 

[7] Bei der Aufteilung Afrikas unter die europäischen Kolonialmächte fiel neben Eritrea und Italien-Somaliland auch Libyen unter italienische Kolonialherrschaft.

[8] Vgl.: Tervaskis, G.K.N.: Eritrea. A Colony in Transition. a.a.O., s. 33

[9] Andrea Festa: Le istituzioni educative in Eritrea. Atti del second congress di studi coloniali, 1934, Firenze, 1935, vol. 2, p. 294.

[10] De Marco schreibt, dass militärischer Drill ein fester Bestandteil der kolonialen Erziehung war. Jungs wurden demnach dazu erzogen, „little soldiers of the Duce“ zu werden. Jeden Morgen wurde das faschistische Salutieren geübt, das für alle Schüler Pflicht war. Darüber hinaus mussten die Kinder bei der Hissung der italienischen Flagge auf dem Schulhof nationalistische Lieder anstimmen. Vgl. De Marco, R.R.: The Italianization of the African natives: Government Native Education in the Italian Colonies, 1890-1937. New York 1943, S. 33

[11] Vgl. De Medici, A.M.: Native Education in the Italian Colonies. a.a.O., S. 645.

[12] Vgl. De Marco, R.R.: The Italianization of the African natives: Government Native Education in the Italian Colonies, 1890-1937. New York 1943, S. 7.

[13] Andrea Festa:  Presupposti e Fini dell’Azione Educativa nei Territori dell’A.O.I.. In: Atti del Congresso Vol.VI Firenze, Roma 1937, S. 129.

[14] Vgl. Missione Cattolica: Manuale di Istruzione ad uso degli idigene. Asmara 1912. Italian text, pp. 1-130, Tigrinya text, pp. 131-403.

[15] Missione Cattolica: Uomini Illustri del lavoro, della scienza e della carita, Libro di lettura Italiano-Tigrai ad uso delle scuole indigene, Asmara, 1917

[16] Missione Cattolica: Embae …(Vittotio del lavoro): Libro di lettura Italiano-Tigrai ad uso delle scuola indigene, Asmara 1920, S. 115.

[17] Missione Cattolica: Libro per le scuola elementare indigene. Classe II, Asmara 1923, S. 131.

[18] Missione Cattolica: Libro per le scuola elementare indigene. Classe III, Asmara 1923.

[19] Missione Cattolica: Libro per le scuola elementare indigene. Asmara 1923, S. 51.

[20] Pankhurst, R.: The textbooks of Italian Colonial Africa. Ethiopia Observer, Vol. 11 No. 4, S. 327-337.

[21] P. Giandomenico da Milano: Libro per le Scuole Elementari Eritree. Vol. III Classe III, (Asmara sec. ed. 1930)

[22] Nyerere, J.: “Education for Self-Reliance”, Dar-es Salaam, Ministry of Information and Tourism, 1967. In: Faure, E., Herrera, F., Kaddoura, A.-R., Lopez, H., Petrovski, A. V., Rahenema, M., Ward, F. C.: “Wie wir leben lernen – Der UNESCO-Bericht über Ziele und Zukunft unserer Erziehungsprogramme”, Hamburg 1973, S. 59.

[23] De Marco, R.: The Italianization of Africans: Italian Colonial Educational Policy. New York 1943, S. 7-8.

[24] Eritrean Relief Association (ERA): Education in Eritrea. Document prepared for the international Donors conference on Eritrea. April 1983, S. 2-3.

Literaturverzeichnis

Andrea Festa: Le istituzioni educative in Eritrea. Atti del second congress di studi coloniali, 1934, Firenze, 1935, vol. 2.

Andrea Festa: Presupposti e Fini dell’Azione Educativa nei Territori dell’A.O.I.. In: Atti del Congresso Vol.VI Firenze, Roma 1937, S. 129.

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Eritrean Relief Association (ERA): Education in Eritrea. Document prepared for the International Donors conference on Eritrea. April 1983

Bildquellen

i) https://en.m.wikipedia.org/wiki/File:Cartolina_dei_Carabinieri_Reali_spedita_dalla_Colonia_Eritrea_dell%27Asmara_%281907%29.jpg

ii) https://primary.jwwb.nl/public/p/s/b/temp-isyqggdwurssshjnhdao/cheren-la-scuola-salvago-raggi-2.webp

 

 

 

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