von Kesete Yemane
Es war schon einige Zeit vergangen, seit ich Nakfa nicht mehr gesehen hatte. Deshalb war meine Sehnsucht danach groß und meine Freude darüber umso größer, als ich einen Auftrag erhielt, einen Besuch dorthin zu begleiten. Es war für mich eine wunderbare Gelegenheit, eine Tour nach Nakfa auf eine besondere Art und Weise zu genießen.
Er hieß Dirk und meinte über seinen Namen auf Englisch, ich könne ihn auch als „Derg“ aussprechen, aber ich solle dabei den Buchstaben „G“ durch einen „K“ ersetzen. Mit seinem Humor deutete er auf die brutale äthiopische Militärregierung hin, die man damals ebenfalls Derg genannt hatte und uns Eritreern aus unseren bitteren Erfahrungen bestens bekannt war. Das machte mir deutlich, wie sehr er mit der Geschichte unserer Region vertraut ist. Dirk ist etwa Mitte siebzig Jahre alt und ein Freund Eritreas aus Deutschland. Seit den frühen 1980er-Jahren verfolgte er die eritreische Revolution intensiver als die Angelegenheiten seines Landes und war von dem eritreischen Unabhängigkeitskampf tief beeindruckt. Er fügte noch hinzu, dass er die eritreische Angelegenheit als seine eigene ansehe und stolz darauf sei. Nach der Erteilung einer Besuchserlaubnis für Nakfa, die er Ende letzten Jahres erhalten hatte, war er nun bereit für eine Reise.

Dirk Vogelsang mit Kesete Yemane
Wir konnten dann um sechs Uhr morgens gemeinsam aufbrechen und Asmara verlassen. Unser Gast begann bereits mit der Schilderung von Ereignissen aus unserem bewaffneten Befreiungskampf, die ihn fasziniert hatten. In den Jahren 1978-79 war das gesamte Gebiet um Asmara unter der Kontrolle der eritreischen Befreiungskräfte, doch die sowjetische Intervention verhinderte den Vormarsch der Befreiungskämpfer. Dies führte zu einem von der EPLF geplanten und durchgeführten strategischen Rückzug, der ihn unter anderem äußerst beeindruckte, sagte er. Wir führten unsere Reise fort und sprachen über die feindlichen fünf Offensiven, gegen die man sich bis Nakfa wehrte, über die dafür abgewickelte militärische Logistik und die Verluste, welche die gegnerische Armee dabei erlitt. Es war uns ebenfalls möglich, während unserer Fahrt anzuhalten und einige historische Stätten zu besuchen. Daher kamen wir erst gegen Abenddämmerung in Nakfa an.

Am nächsten Tag begaben wir uns zu den Schützengräben der Nakfa-Front und wollten uns deren rechten Flügel besichtigen. Die unterirdischen Kanäle, die jahrzehntelang unaufhörlich unter feindlichem Beschuss gestanden hatten, und die attraktive Landschaft um die Denden Gebirge versetzten unseren Gast in eine unbeschreibliche Gefühlslage. Bis dahin hatte er sie nur aus Lektüren und Erzählungen gekannt, nun konnte er sie endlich mit eigenen Augen besichtigen.

Nach ausführlichen Erläuterungen von Leuten, die damals dort mitgekämpft hatten, machten wir uns auf den linken Flügel der Nakfa-Front. Er lag noch 13 km entfernt, und unser Weg führte uns dahin über eine unbefestigte Straße, die erst vor zwei Monaten unter Arbeitseinsatz der Bevölkerung aus der Gegend fertig gebaut war. Damit wurde Dirk zum ersten Ausländer, der diese Gegend als Erster besuchte. Die Schützengräben hatten eine Anhöhe mit einem Ausblick auf die weiten Naro-Ebenen; dazu zählen auch die berühmten Schützengräben wie Salfer und Tabba Wuffuyat, das Tal der Selbstlosen. Hätte das Tabba Wuffuyat einen Mund, würde es uns von den entscheidenden und blutigen Schlachten erzählen, in denen Nakfa verteidigt wurde. Es ist eine Geschichte, die jeden berühren würde.
In den restlichen Stunden des Nachmittags konnte er sich die ehemaligen Büros im Stadtzentrum, die berühmte Moschee von Nakfa, ein Symbol des Durchhaltevermögens, und das Museum ansehen. Anschließend kehrten wir in die Kaderschule zurück, um uns zur Ruhe zu setzen.

© Eritreisches Informationsministerium
Dirk äußerte immer wieder seine Begeisterung. Es erfüllte ihn mit Stolz, die Stätte, die er sich zu Lebzeiten zu besuchen gewünscht hatte, endlich zu Gesicht zu bekommen. Dies war gleichzeitig auch eine Erleichterung für ihn. Auf unserer Rückfahrt erzählte er mir von seiner schlaflosen Nacht sowie seinen Besuchen in Kuba und Vietnam, die ebenfalls eine Revolution durchgeführt hatten. Trotzdem ist er der Ansicht, dass Eritrea lediglich das Land ist, in dem der Einfluss der Revolution auf die Einheit des Volkes und dessen unabhängige politische Ausrichtung am deutlichsten sichtbar ist. Er teilte mir auch mit, dass er sich an den Entwicklungsprogrammen der eritreischen Regierung beteilige, die sich an den Prinzipien der Self-reliance (dt. Eigenständigkeit) und der sozialen Gerechtigkeit orientieren, und dass er sich dafür einsetze, die Weltöffentlichkeit darüber zu informieren. Seine Überzeugung vom gerechten Kampf des eritreischen Volkes war es auch, was ihn dazu veranlasst habe, Familien von Märtyrern finanziell zu unterstützen, sagte er mir ganz offen.
Nach einer erfolgreichen dreitägigen Tour mit Dirk, dem deutschen Freund Eritreas, der als Journalist und Rechtsanwalt beruflich tätig ist, kehrten wir sicher nach Asmara zurück. Und wie steht es um uns? Wie sehen unsere Ansichten zu unseren historischen Stätten aus? Sind wir uns über ihre Werte bewusst genug, um sie wertzuschätzen und zu bewahren?

Der Text wurde von Kesete Yemane verfasst und von Aman Kibrom in Zusammenarbeit mit Eritreische Stimme ins Deutsche übersetzt.
Im Folgenden finden Sie den originalen Text in der Tigrinya Sprache und die hier verwendeten Fotos:
https://www.facebook.com/story.php?story_fbid=309677895438175&id=100091879005671&mibextid=WC7FNe
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Kommentare
Dirk Vogelsang is not only a friend of Eritrea but also of Bixay! Thanks to all of you for the great report!
And what about us? What are our views on our historical sites? Are we aware enough of their values to appreciate and preserve them? I SAY YES and it is our duty to pass on to the next generation and tell the story! Thank you all!