Weshalb wurde der 20. Juni als Gedenktag der eritreischen Märtyrer festgelegt? Was geschah an diesem Tag und was macht diesen Tag so besonders? Darum wollen wir uns heute mit der Geschichte hinter dem 20. Juni beschäftigen und die Ereignisse darstellen, die zu diesem bedeutenden eritreischen Tag führten. Heute folgt der Teil 2.
Vorbereitungen der EPLF
Als die sechste Offensive der äthiopischen Armee immer näher rückte, rief die Eritreische Volksbefreiungsfront (EPLF) alle Eritreer und Eritreerinnen auf, sich mit allen ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln am Kampf gegen die Offensive zu beteiligen. An den Fronten verstärkte sie ihre Stellungen, um Schäden durch die kommenden Angriffe zu verringern, und errichtete temporäre medizinische Einrichtungen für Versorgung von Kriegsverletzten. Zur Verstärkung der Kampfmoral organisierte sie auch Versammlungen.
Die äthiopische Militärregierung (Derg) hatte bereits als Teil ihrer psychologischen Kriegsführung Informationen über mögliche Einsätze von international verbotenen chemischen Waffen verbreitet. Das veranlasste die EPLF, eigene Schutzmasken herzustellen, um sich vor dem Angriff mit Kampfstoffen zu schützen, und teilte ihren Kämpfern und Kämpferinnen Spritzen aus, damit sie sich selbst oder ihren Kampfgenossen im Notfall mit lebensrettenden Mitteln helfen konnten. Viele Kämpfer aus den sogenannten Departments der EPLF wurden zur Verstärkung der Einheiten an die Front geschickt. Dennoch lag die Gesamtzahl der aktiven Kämpfer und Kämpferinnen der EPLF bei weniger als 13 000. Damit war sie der äthiopischen Armee zehnfach unterlegen.
EPLF-Kämpfer mit Schutzmasken
Die drei äthiopischen Kommandos
Im Dezember 1980 war in Asmara ein "Directory of Planning and Operations" eingerichtet worden, und die äthiopische Armee in Eritrea in sogenannten Kommandos (amh. Ezzotch) neu aufgestellt. Demnach gab es in Eritrea unter der äthiopischen Militärregierung drei Kommandos: Wuqaw-Ezz für die Front im Nordosten von Sahil (Alghena), Mebreq-Ezz für die Barka-Front (Kerkebet) und Nadow-Ezz für die Nakfa-Front (Af Abet). Alle diese Kommandos waren dem Zentralkommando in Asmara unterstellt, in dem der äthiopische Staatschef Mengistu Hailemariam als Oberbefehlshaber und seine ausländischen Berater die Militärkampagne führten.

Eine Karte der Fronten und Orte während der sechsten Offensive (15. Februar 1982 - 20. Juni 1982) der äthiopischen Armee (Quelle: Gebru Tareke, 2002)
Blitzangriffe an drei Fronten
Nach Vorbereitungen von mehr als zwei Jahren startete die äthiopische Armee am 15. Februar 1982 ihre Großoffensive an allen drei Fronten gleichzeitig. Dafür setzte sie mehr als 80 000 Soldaten ein, und ihre Mission bestand darin, die EPLF-Kämpfer mit Blitzangriffen von allen Seiten einzukreisen und sie innerhalb von zwei bis drei Wochen vollständig zu vernichten.
Die Kämpfe dauerten mehr als 95 Tage. Es waren mehr als drei Monate, in denen entscheidende Schlachten geführt wurden. Die eritreischen Kämpfer und Kämpferinnen kämpften um ihr Überleben und damit den Fortbestand des eritreischen Unabhängigkeitskampfes.
Ende der sechsten Offensive
Am 20. Juni 1982 endete die sechste Offensive mit einer vernichtenden Niederlage der äthiopischen Armee. Sie hatte mehr als 54 000 Tote und Verletzte, 1400 Gefangene zu beklagen. Mehr als 10 000 Waffen verschiedener Art waren von der EPLF erbeutet und 84 Militärfahrzeuge, 28 Panzer und gepanzerte Fahrzeuge zerstört. Darüber hinaus hatte sie drei MIG-Kampfflugzeuge und einen MI-Kampfhubschrauber verloren.
Die eritreischen EPLF-Kämpfer konnten einen entscheidenden Sieg über eine hochgerüstete äthiopische Armee mit ihren Spezialkräften erzielen. Dies war ein militärisches Wunder einer zahlen- und waffenmäßig sehr unterlegenen, aber hoch disziplinierten und standhaften Volksarmee der EPLF unter ihrer strategisch klugen Führung. Auf der eritreischen Seite waren 2700 eritreische Kämpfer und Kämpferinnen gefallen, darunter über 5000 leicht und schwer verletzt. Damit endete am 20. Juni 1982 nicht nur die größte und gefährlichste Offensive, sondern auch die opferreichste Offensive. Deswegen wurde der 20. Juni durch die Proklamation der EPLF vom 19. Juni 1991 als Tag der eritreischen Märtyrer festgelegt.

Beerdigung eines gefallenen Kämpfers
ዘልኣለማዊ ዝኽርን ክብርን ንሰማእታትና!
Proklamation der EPLF vom 19. Juni 1991

Verwendete Quellen:
1) ፍሽለት 6ይ ወራር - ብዓወት ህዝባዊ ግምባር - DimTsi Hafash Eritrea/ድምጺ ሓፋሽ ኤርትራ (Eine Kurzsendung im eritreischen Radio Dimtsi Hafash über das Scheitern der sechsten Offensive). Die Sendung finden Sie unter: https://www.youtube.com/watch?v=x76A1WzplkA
2) ሰለሞን በርሀ፡ ዝኽሪ ሰነ 6ይ ወራር ኣብ 40 ዓመቱ፡ 11 ሰነ 2022 (Solomon Berhe, Gedenken an den Juni der 6. Offensive nach 40 Jahren, 11.06. 2022). https://shabait.com/2022/06/11/%E1%8B%9D%E1%8A%BD%E1%88%AA-%E1%88%B0%E1%8A%90/
3) ተኸስተ ፍቓዱ፡ 2006፡ ጕዕዞ ካብ ናቕፋ ናብ ናቕፋ፡ ኣብ ብልሒ ብብልሒ 1976-1979፡ ኣሕተምቲ ሕድሪ፡ ኣስመራ (Tekeste Fekadu, Journey From Nakfa to Nakfa, Back to Square one, 1976 - 1979)
4) ሽሞንዲ ዑቕባሚካኤል፡ ሞት 40 ሓራምዝ ኣራት-ኪሎ ዘኸተለ ውግእ (1ይ ክፋል)፡ 22 መጋቢት 2024
ሞት 40 ሓራምዝ ኣራት-ኪሎ ዘኸተለ ውግእ – Eritrea Ministry Of Information (shabait.com)
5) Gebru Tareke, From Lash to Red Star: The Pitfalls of Counter-Insurgency in Ethiopia, 1980-82 in: The Journal of Modern African Studies, Vol. 40, No. 3 (Sep., 2002), pp. 465-498 (34 pages)
Das erste Teil des Artikels ist hier: „Die Geschichte hinter dem 20. Juni (Teil 1)“
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